Blogartikel

Friedliche Grenze, Wiedervereinigung, Landesteilung – an was gedenken wir?

– Blogartikel bei „Ins Schwarze“ von Benjamin Drozdz 

Im Frühjahr des Jahres 1920 entschieden knapp 182.000 Bürgerinnen und Bürger im Landesteil Schleswig über eine neue Grenzziehung zwischen Deutschland und Dänemark, die bis heute Bestand haben sollte. In der Folge fiel Nordschleswig mit den Städten Tondern, Sonderburg, Apenrade und Hadersleben an Dänemark, während sich die nordfriesischen Inseln Sylt, Föhr und Amrum sowie das Festland um Niebüll, Leck und Flensburg für den Verbleib bei Deutschland aussprachen.

Durch die neue Grenze entstanden sowohl in Dänemark als auch in Deutschland nationale Minderheiten, die bis heute das kulturelle Leben in der Grenzregion prägen. Das Land Schleswig-Holstein gedenkt und feiert im Jahr 2020 „100 Jahre deutsch-dänische Volksabstimmungen“ und blickt dabei besonders auf das Miteinander von Minderheiten und Mehrheiten. In Dänemark wird das Ereignis als Wiedervereinigung (Genforeningen) bezeichnet und 2020 markiert daher ein Jubiläum auf nationaler Ebene. Die dänische und deutsche Minderheit feiern im Jahr 2020 ihr 100-jähriges Bestehen.

Das Jubiläum wird offensichtlich unterschiedlich interpretiert…

Zur besseren Einordnung ein kleiner Exkurs: Das alte Herzogtum Schleswig zwischen der Eider im Süden und der Königsau im Norden bei Ribe bestand vom 12. Jahrhundert an bis zum Jahr 1864 als zwar eigener Staat aber doch im Wesentlichen als Lehen des Königreichs Dänemarks. Verbunden mit Dänemark im Norden und im Süden mit dem deutschen Holstein, war es seit jeher geprägt von sprachlicher und kultureller Vielfalt. Jüten, Deutsche und an der Westküste die Friesen lebten mal mehr, mal weniger friedlich über Jahrhunderte neben- und miteinander. Die Sprachen Sønderjysk und Reichsdänisch, Hoch- und Plattdeutsch sowie Friesisch prägten das Alltagsleben. Bis im 19. Jahrhundert sich schließlich der Nationalitätenkonflikt zuspitzte und entlud. Dänemark wollte das Herzogtum Schleswig dem Dänischen Gesamtstaat einverleiben, während die meisten Schleswig-Holsteiner die Eigenstaatlichkeit in einem Deutschen Staatenbund anstrebten. Dies mündete 1864 im Deutsch-Dänischen Kriege aus dem die deutschen Staaten unter der Führung von Preußen und Österreich siegreich hervorgingen. Letztlich wurden in dessen Folge die Herzogtümer Schleswig und Holstein aber preußische Provinz.

Nun zur Volksabstimmung: Nachdem nun das Deutsche Reich 1918 den I. Weltkrieg verlor, sah der Versailler Vertrag auch eine Neuordnung der deutsch-dänischen Grenze vor. Im Februar und März 1920 fand in Folge die Volksabstimmung in zwei Zonen statt, denen ein zum Teil leidenschaftlicher Wahlkampf vorausging: Zone 1 umfasste das mehrheitlich dänisch besiedelte Nordschleswig; Zone 2 umfasste das heutige nördliche Südschleswig; auf eine ursprünglich vorgesehene Zone 3 um Husum und Schleswig verzichtete man derweil. Während knapp 74 Prozent der Bevölkerung in Zone 1 für einen Anschluss an Dänemark stimmte, entschieden sich in Zone 2 etwa 80 Prozent der Abstimmungsberechtigten für einen Verbleib bei Deutschland. In der nördlichen Zone I wurde en bloc abgestimmt, wodurch die Gemeinden mit deutschen Mehrheiten, wie Tondern, Hoyer, Tingleff, Apenrade und Sonderbug keine Berücksichtigung fanden. In der südlichen Zone II wurde einen Monat später abgestimmt. Die Auswertung der Ergebnisse wurde gemeindeweise vorgenommen, so dass die Möglichkeit bestand, einzelne Gemeinden mit einer dänischen Mehrheit Dänemark zuzuschlagen. Solche gab es jedoch nicht.

„Up ewig ungedeelt“

Am 15. Juni 1920 erfolgte schließlich die Abtretung Nordschleswigs an Dänemark und der Tag ging als „Genforeningsdag“ (Wiedervereinigungstag) in das nationale Gedächtnis des Königreiches ein. Dem vielzitierten schleswig-holsteinischen Wahlspruch „Up ewig ungedeelt“, welcher einer Passage des Vertrages von Ripen von 1460 entsprang, zuwider, ging fortan ein Riss durch das Land und trennte seine Bewohner und Bewohnerinnen. Das besonders hart umkämpfte Flensburg verblieb mit mehr als 75 Prozent Stimmenmehrheit bei Deutschland, büßte jedoch sein nördliches Umland ein, Sylt verlor seinen Festlandsfährhafen Hoyer und das nördliche Nordfriesland verlor seine alte Kreisstadt Tondern. Unzählige Familien und Freundschaften wurden so entzweit. Nördlich der Grenze verblieb fortan eine größere deutsche und südlich der Grenze eine kleinere dänische Minderheit. Beide bewahrten sich und prägten ein reiches kulturelles Eigenleben mit eigenen Schulen, Vereinen und politischen Parteien aus. Besonders aber traf es die Friesen, die sich zwischen Dänemark und Deutschland entscheiden mussten. Ihre eigene Identität wurde dadurch in besonderer Weise auf die Probe gestellt, was der kleinen Volksgruppe tiefe Wunden zufügte, die vermutlich bis heute nicht völlig überwunden sind.
Zurück in die Gegenwart: Trotz der nicht sehr einfachen Ausgangslage, trotz Weltkrieg, Nachkriegszeit und verschiedener Höhen und Tiefen im Zusammenleben entlang der Grenzregion, hat die 1920 manifestierte deutsch-dänische Grenze bis heute Bestand. Diese Tatsache allein spricht bereits für sich!

Die Bonn-Kopenhagener-Erklärungen aus dem Jahr 1955 garantieren der dänischen Minderheit in Südschleswig und der deutschen Minderheit in Nordschleswig ihre allgemeinen Rechte und die formelle Gleichberechtigung. Das deutsch-dänische Modell der Bekenntnisfreiheit zur Minderheit genießt europaweiten, wenn nicht sogar weltweiten, Vorbildcharakter. Trotz gänzlich anderer Ausgangsbedingungen behauptet sich auch die autochone Friesische Volksgruppe bis heute in ihrer Sprache und Kultur und ist nunmehr als nationale Volksgruppe anerkannt. Die Minderheiten und Volksgruppen tragen mit ihrem Bildungs-, Medien-, Vereins- und Kulturwesen maßgeblich zum einzigartigen, kulturellen Reichtum der Grenzregion bei. Diese Vielfalt ist zum Markenzeichen unserer Grenzregion geworden, darauf können wir zu Recht stolz sein.

In der Europäischen Union spielen die nationalstaatlichen Grenzen immer wenigere eine trennende und immer mehr eine verbindende Rolle. Auch wirtschaftlich ist die Region längst wieder eng zusammengewachsen. Viele Deutsche haben ihren Arbeitsplatz nördlich der Grenze in Dänemark und sind so zu Grenzpendlern geworden. Viele Dänen nutzen die Möglichkeit beispielsweise in Flensburg oder anderswo ihre Einkäufe zu erledigen. Bildungsangebote können problemlos beiderseits der Grenze genutzt werden und auch touristisch – zwecks Urlaub oder Wochenendausflug – hat sich längst ein reger Grenzverkehr etabliert.

In Anbetracht des Erreichten und mit Blick in die Zukunft möchte ich einige wenige Wünsche und Hoffnungen formulieren:

  1. Ich hoffe, dass politische und kulturelle Toleranz niemals in Vergessenheit geraten.
  2. Ich wünsche mir, dass weder Wildschweinzaun noch Coronapandemie langfristig die Durchlässigkeit der Grenze in Frage stellen.
  3. Ich hoffe, dass es in Dänemark bald ebenso selbstverständlich erlaubt sein wird eine deutsche oder schleswig-holsteinische Flagge zu hissen, wie es in Deutschland erlaubt ist den Danebrog zu hissen.
  4. Ich wünsche mir, dass sich das Land Schleswig-Holstein seiner Verantwortung für die Friesische Volksgruppe bewusst wird und sie in diesem Sinne weiter fördert.
  5. Ich hoffe auf die menschliche Akzeptanz sowie die rechtliche Möglichkeit, dass es bald auch nördlich der Grenze zweisprachige Ortschilder geben kann.
  6. Ich wünsche mir, dass uns in Zukunft ein gemeinsames Gedenken an die Volksabstimmung und Grenzziehung und damit unsere Landesgeschichte gelingt.
  7. Ich hoffe, dass wir uns den Blick für das Verbindende von Sprachen und Kulturen bewahren. Damit wir nie vergessen voneinander zu lernen und unsere Kräfte zu bündeln. 100 Jahre deutsch-dänische Grenze sind am Ende von allem ein wenig: Viele verbinden mit dem Jubiläum Dankbarkeit für den Grenzfrieden, die einen gedenken der Wiedervereinigung mit Dänemark, bei anderen schmerzt bis heute die Erfahrung der Spaltung eines Jahrhunderte alten Kulturraums.

Benjamin Drozdz ist Ehrenmitglied unseres Kreisverbandes und war seit 2015 in verschiedenen Funktionen im Kreisvorstand aktiv. Der ausgebildete Landwirt und studierte Agrarökonom arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Bundestag.